Kritik an Argumenten für eine Planungsbehörde oder feste Vorgaben zur
marktwidrigen Kapazitätsplanung am Elektrizitätsmarkt
Dieses Diskussionspapier beschäftigt sich mit den Entscheidungen über
Kraftwerkskapazitäten und ihre Finanzierung, also die Angebotsseite des
Strommarktes. Heute erzielen Kraftwerke in Deutschland ihre Erlöse über den
Stromverkauf („energy-only-Markt“) und die Entscheidung über den Bau und
Betrieb von Kraftwerken können die Betreiber im Wesentlichen autonom treffen.
Exkurs: Die Zukunft des Strommarktes auf der Verbraucherseite
In 10 Jahren werden an vielen Stromzählern kleine, einem Handy ähnliche
Geräte installiert sein, die z.B. viertelstündlich den Zählerstand
photographieren und ablesen. Viele Haushalte und die meisten Firmen mit hohem
Stromverbrauch haben Strompreise vereinbart, die sich an den Strompreisen an
der Strompreisbörse orientieren und mit ihnen schwanken. Die aktuellen
Strompreise können jederzeit über das Internet erfragt werden. Man kann sich
bei besonders hohen Strompreisen eine SMS schicken lassen und dann auf
Tätigkeiten mit hohem Stromverbrauch verzichten bzw. sie zurückstellen. Dann wird
z.B. nur ganz kurz geduscht oder ein Vollbad auf einen windigeren Tag bzw. das
Wochenende verschoben. Moderne Haushaltsgeräte haben häufig Funkempfänger, die
dies automatisch erledigen. Gewerbetreibende mit hohem Energieverbrauch
schicken hin und wieder ihre Belegschaft nach Hause, wenn die Strompreise zu
hoch sind und Auftragslage dies erlaubt.
Einmal im Jahr kommt der Ablesedienst und überträgt die viertelstündlich
gültigen Preise an das versiegelte Zusatzgerät am Stromzähler. Dieses ermittelt
dann selbständig die Stromrechnung und überträgt diesen Summenwert an den
Ablesedienst. So ähnlich, wie es heute auch bei elektronischen
Heizkostenverteilern geschieht, erfährt der Ablesedienst also nicht das
persönliche Verbrauchsprofil des Haushalts bzw. Stromverbrauchers.
Anderen Haushalten wird das zu umständlich sein oder sie sind ohnehin
nicht zur Anpassung ihres Strombezugs an die Preise bereit. Sie schließen dann
Lieferverträge mit festen und einheitlichen Strompreisen ab, die dann auch die
Kosten zu Hochpreisperioden abbilden. Auf diese Weise finanzieren sie die
indirekt die Kraftwerkskapazitäten mit, die für die Versorgung während der
Hochpreisperioden benötigt werden.
Durch die Übermittlung von Preissignalen an einen Teil der Verbraucher
wird eine hohe Reaktionsfähigkeit auf die variablen Strompreise erreicht. Dies
gilt natürlich vor allem bei kurzzeitig sehr hohen Strompreisen, wie sie nur in
wenigen Stunden eines Jahres auftreten.
Teile der Energiewirtschaft setzen sich derzeit für eine Planungsbehörde
ein, die an Stelle des derzeitigen Marktsystems bestimmen soll, wie viele
regelfähige Kapazitäten im Strommarkt vorgehalten werden sollen. Vorgesehen
sind Subventions-ähnliche Vergütungen für die Bereithaltung von (in erster
Linie: thermischen) Kraftwerken, die dann mit einer besonderen Umlage auf die
Stromverbraucher verteilt werden.
Ein solches System führt gleichzeitig zu einer Senkung der Marktpreise,
die für den Verbraucher aber nur einen Teil der Mehrkosten ausgleicht. Die
gesunkenen Marktpreise gefährden andererseits die Chancen für erneuerbare
Energie, sich ohne besondere Förderung am Strommarkt behaupten zu können. Daher
ist es besonders für Vertreter der Regenerativwirtschaft notwendig, den
falschen Argumenten für eine derartige Planungsbehörde entgegenzutreten.
Die Installation einer Planungsbehörde bzw. exogen vorgegebener Regeln
wird mit Begriffen wie „Kapazitätsmärkte“ oder „strategische Reserve“ belegt.
Im Kern handelt es sich aber um eine Aushebelung der Marktmechanismen im Strommarkt
und eine Rückkehr zu planwirtschaftlichen Elementen.
Diese Notiz bezieht sich insbesondere auf die vom EWI
im Auftrag des BMWI erstellte Studie „Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen
Strommarktdesign“ von Christina Elberg, PD
Dr. Christian Growitsch, Prof. Dr. Felix Höffler, Jan Richter, Prof. Achim
Wambach, Ph.D., Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln
(EWI), März 2012 ( http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/endbericht-untersuchungen-zu-einem-zukunftsfaehigen-strommarktdesign,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf
) und geht auf Schwachpunkte der Argumentation in dieser Studie heraus.
Weitere Aspekte werden aus der Studie Kapazitätsmarkt. Rahmenbedingungen,
Notwendigkeit und Eckpunkte einer Ausgestaltung der BET (2011) angesprochen.
Eine Zusammenfassung verschiedener Vorschläge beschreiben Uwe Leprich, Eva Hauser, Katherina Grashof, Lars Grote,
Martin Luxenburger, Matthias Sabatier, Alexander Zipp: Kompassstudie Marktdesign. Leitideen für ein Design
eines Stromsystems mit hohem Anteil fluktuierender Erneuerbarer Energien (IZES
gGmbH Saarbrücken, Dez. 2012) http://www.bee-ev.de/_downloads/publikationen/studien/2012/1212_BEE-GPE-IZES-Kompassstudie-Marktdesign.pdf
. Diese drei Studien stehen nur
stellvertretend für verschiedene Veröffentlichungen und eine breite Diskussion,
bei der die interventionistisch orientierten Kreise zunehmend Gehör finden.
Argumentationskette für die Festsetzung
von Subventionen für die Bereithaltung von Kapazitäten durch eine
Planungsbehörde und der entstehende Schaden
Vereinfacht
interpretiert, nimmt die Studie des EWI die folgende Argumentationskette vor:
1.
Im überwiegenden Teil
des Jahres wird die Kapazität durch regenerative Energie und durch
„Mittellast“-Kraftwerke gedeckt, d.h. Kraftwerke mit maximal mittleren
variablen Kosten, hauptsächlich in Form von Brennstoffkosten.
2.
Für Zeitpunkte der
Höchstlast, oder genaugenommen der höchsten Residuallast nach Abzug von Wind-
und Sonnenenergie, werden genügend Reserven in Form von
Spitzen(-last-)kraftwerken[1]
benötigt. Dieses Back-up stellt sich das EWI als Gasturbinenkraftwerke vor.
3.
Nachdem diese Reserven
im Modell des EWI recht großzügig bemessen sind, werden sie im Regelfall nie alle
gleichzeitig betrieben. Eine „Überlastung“ der Reserven soll ja gerade
vermieden werden.
4. Damit wird
sich der Strompreis unter Wettbewerbsbedingungen in Höhe der variablen Kosten dieser Spitzenlastkraftwerke einstellen,
wenn wenigstens ein Teil von ihnen benötigt wird und in Betrieb ist. Zu anderen
Zeiten ist er niedriger, die Spitzenlastkraftwerke sind außer Betrieb. Dies
führt aber dazu, dass die
Spitzenlastkraftwerke lediglich ihre variablen Kosten erwirtschaften können und
keinen Deckungsbeitrag erzielen.
5. Offenbar fehlt auch der Mut zu einem
Marktgleichgewicht, das dann in relativen wenigen Stunden im Jahr zu wesentlich
höheren Marktpreisen führen würde, und auf diese Weise eine Refinanzierung der
knappen Kapazitäten ermöglicht. In der Praxis können solche Preisausschläge in
Folge einer wenig preissensiblen Stromnachfrage ein recht beträchtliches Ausmaß
erreichen, wie Preise von 1938 /MWh (knapp 2 €/kWh) für Spitzenlast am 8.2.2012
im französischen Strommarkt zeigten.
6. Mithin sollen neben dem eigentlichen Strommarkt
zusätzliche marktfremde Instrumente eingeführt werden, bei denen eine
planwirtschaftliche Instanz festlegt, in welchem Umfang Kraftwerke
bereitgehalten werden sollen. Je nach Ausprägung im Detail wird diese
Planungsbehörde vom EWI als „Koordinator für Strategische Reserve (KSR)“
bezeichnet oder in der vom EWI bevorzugten Ausprägung als „Koordinator des Versorgungssicherheitsmarktes (KVM)“. Denkbar wäre u.a. eine zusätzliche
Kompetenzzuweisung an die Bundesnetzagentur. Die entsprechende Behörde nimmt
Ausschreibungen vor, die letztlich zu einer Umlage auf die Stromverbraucher
führen, mit denen die Investitionskosten dieser am Markt nicht finanzierbaren
Gasturbinenkraftwerke nebst Gewinnmarge bezahlt werden sollen. Die Zahlungen
für neu gebaute Kraftwerke sollen für mehrere Jahre garantiert werden.
In einem weiteren Vorschlag für ein geändertes
Energiemarktdesign schlagen enervis energy advisiors und BET eine mehr oder
weniger automatische Festlegung eines Nachweises von gesicherter Leistung vor.
Dies wird zwar nicht näher erläutert, deren Höhe soll sich aber offenbar nach
dem geschätzten oder tatsächlich festgestellten Bedarf in Knappheitssituationen
bzw. Spitzenzeiten richten. Hier ist der planwirtschaftliche Eingriff nicht so
deutlich erkennbar, weil der Eingriff bereits bei der Festlegung der
Energiemarktdesigns durch den Gesetzgeber erfolgt. Charakteristisch ist
jedenfalls, dass eine Bedarfsdeckung durch „nicht gesicherte“ Leistung bei
Knappheitssituationen ausgeblendet wird, und auf der Nachfrageseite ebenfalls
nur ein Teil der flexiblen Reaktionsmöglichkeiten berücksichtigt wird, nämlich
diejenigen, die ex ante garantiert und vertraglich gesichert werden können.
7.
Gemäß Modell des EWI
werden im Stichjahr 2020 bereits 16,2 GW back-up „benötigt“, die dann aber in
diesem Jahr überhaupt nicht zum Einsatz kommen. Beträgt. Für das Jahr 2030 wird
ein Bedarf von 39 GW derartiger Gasturbinen postuliert, die im Mittel nur 136
Volllaststunden arbeiten (1,6% der Dauer des Jahres). Zum Einen ergibt sich
eine Fehlsteuerung dadurch, dass weitgehend unnötige Kraftwerke mit einer
Subvention zu Lasten der Stromverbraucher bereitgehalten werden. Der Begriff
des „Kapazitätsmarktes“ ergibt sich daraus, dass die Höhe dieser Subvention auf
der Angebotsseite (auch) durch die Marktakteure bestimmt wird. Westlicher ist
aber, dass das Volumen der Subventionen durch die planwirtschaftlich
ermittelten „Bedarf“ für solche Kapazitäten zustande kommt.
Der
energiewirtschaftliche Schaden durch diese Subventionen ist jedoch weitaus
größer:
·
Durch den
planwirtschaftlichen Eingriff in die Energiemärkte werden nicht nur die
eigentlichen Reservekraftwerke begünstigt. Auch alle anderen thermischen
Kraftwerke sollen diese Kapazitätsprämie bekommen, weil sie ja auch „gesicherte
Kapazität“ bereitstellen. Zum einen führt dies zu Windfall-Profits für die
Besitzer vorhandener Kraftwerke. Zum anderen werden dann bei
Investitionsentscheidungen über neue Mittellastkraftwerke nur noch geringere
Marktpreise für den erzeugten Strom benötigt (bzw. kann die Erwartung
niedrigerer Marktpreise für längere Zeit im Jahr vorherrschen), um insgesamt zu
einer Kostendeckung zu kommen.
·
Die dadurch bewirkten, niedrigeren
Marktpreise verschlechtern dann die Marktbedingungen für andere Kraftwerke,
insbesondere auch für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, die sich
zunehmend ohne Förderung durch das bislang noch notwendige EEG am Markt
durchsetzen soll und (ohne derartige Subventionen für die Konkurrenz) auch kann.
·
Für die bereits
existierenden EEG-Kapazitäten würden niedrigere Marktpreise für Strom bei
feststehenden Einspeisungstarifen zu einer rechnerischen Erhöhung der
EEG-Umlage führen. Die neue Umlage für die Subvention der Kapazitäten käme
hinzu.
·
Eine staatlich
geförderte Zusatzkapazität in Form von Gasturbinen verschlechtert gerade auch
für diese Kraftwerke die Ertragssituation, weil weniger Situationen eintreten,
an denen sie einen Deckungsbetrag aus dem Stromverkauf erwirtschaften können
(bzw. gar keine mehr). Dabei würde es sich typischerweise um relativ kurze
Zeiten mit sehr hohen Strompreisen handeln. Auch die Subvention für zusätzliche
Mittellastkraftwerke und die entsprechende Kapazitätsmehrung derselben
verschlechtert die Einsatzmöglichkeiten für die Gasturbinen. Damit führt die
Subventionszahlung gerade zu dem Problem, das sie vorgeblich zu lösen
beabsichtigt, nämlich die unzureichende Eigenwirtschaftlichkeit von
Spitzenlastkraftwerken.
·
Alternativen zur Deckung
von Bedarfsspitzen werden nicht verwirklicht, wenn diese nicht durch
entsprechende Preisspitzen honoriert werden. Dies gilt sowohl für die
Begrenzung der Nachfrage wie für zusätzliche Stromerzeugung. Beispielsweise
können Autos mit Plug-in-Hybridantrieb während des Parkens für die Stromproduktion
genutzt werden (oder für die Einspeisung des in der Batterie vorhandenen
Energiegehalts), was sich allerdings nur für kurzzeitige Spitzenzeiten
anbietet. Dies erfordert genügend hohe Strompreise in diesen kurzen
Zeitabschnitten, schließlich ist Benin teurer als das Erdgas stationärer
Kraftwerke, und bestimmte Fixkosten für die Bereithaltung zur Stromeinspeisung
müssten abgedeckt werden. Weder ein Autohersteller noch ein Autofahrer ist aber
in der Lage oder willens, auf Jahre im Voraus die Verfügbarkeit seines Wagens
als Reservekraftwerk anzumelden – kann aber sehr wohl ein solches Fahrzeug
kurzfristig ans Netz bringen. Ein Auto wird auch nicht als gesicherte Reserve
zur Verfügung stehen, sondern kann ja auch gemäß seinem Hauptzweck bewegt
werden – sicher ist lediglich, dass ein Autofahrer dann selbst unterwegs ist
und zu Hause weniger Strom benötigt.
Die Integration von
Hybridautos in das Stromnetz wird also durch die in der Diskussion befindlichen
Instrumente beeinträchtigt.
·
Natürlich besteht
jederzeit die Gefahr einer Fehleinschätzung des Bedarfs durch die
Planungsbehörde. Die Vergangenheit vor der Deregulierung mit ihren integrierten
Versorgern hatte ja gezeigt, dass es zu überhöhten Kapazitäten und damit einer
unnötigen Belastung der Stromverbraucher kommt.
Ein
Beispiel, dass ein Energy-only-Markt erwartungsgemäß zu höheren Marktpreisen
(bzw. höheren Erläsen aus der reinen Energielieferung) führen als der
Energy-Anteil in gemischten Systemen (mit einer Aufteilung der Erlöse auf die
eigentliche Energielieferung und Vergütungen für die Kapazitätsbereitstellung)
geben Potomac Economics (2011), zitiert von Baridaut (siehe unten) auf Seite
11:
PJM
(östliche USA) und NYISO („capital“, offenbar für upstate New York) weisen
niedrigere Preise für die reine Energielieferung auf als der Energy-only-Markt
der ERCOT in Texas. Andererseits sind die Gesamtpreise in den beiden Märkten
mit zusätzlichen Einnahmen aus den Kapazitätsmärkten (PJM und NYISO) höher als
bei ERCOT. (In New York City – rechts dargestellt - haben beide
Erlöskomponenten höhere Werte als in den drei anderen Vergleichsmärkten)
Die
etwa ein Drittel höheren Marktpreise in Texas sind umso bemerkenswerter, als im
Marktgebiet der ERCOT beträchtliche Zuwächse an Windkapazitäten stattfanden,
was ja cet.par. Marktpreis-mindernd wirkt, und zumal Texas ja auch nahe an Fördergebieten für Gas liegt.
Die Vermutung liegt nahe, dass sich das positive Marktumfeld mit einem Verzicht auf Vergütungen für die
Kapazitätsbereitstellung positiv auf die Errichtung von Windparks in Texas
ausgewirkt hat.
Schwäche der EWI-Studie:
Unberücksichtigte Einnahmemöglichkeiten für Spitzenkraftwerke
Der
Stromverbrauch ist tags und abends höher als in den Nachstunden. Nachdem der
Verbrauch mittags in zunehmendem Maße durch Photovoltaik abgedeckt wird,
verbleibt als Residuum nach teilweiser Bedarfsdeckung durch erneuerbare
Energien ein Lastgang mit zwei Höckern und zwei Tiefpunkten nachts und
tagsüber, wie er im Sommer und bei klarem Wetter besonders ausgeprägt ist. Mit
zunehmendem Ausbau der Photovoltaik wird der „Tiefpunkt“ zur Tagesmitte immer
ausgeprägter.
Die
Vorgehensweise des EWI kommt offenbar zum Schluss, dass der Tagesverbrauch
einschließlich der beiden „Höcker“ wenigstens 2020 voll durch
Mittellastkraftwerke und erneuerbare Energien abgedeckt werden könne.
Entsprechend liegen in dem Modell die Strompreise stets unter den variablen
Kosten der Gasturbinen, und diese kommen das ganze Jahr nicht zum Einsatz. Das
wäre wohl zutreffend, wenn die variablen Kosten der Mittellastkraftwerke unter
denjenigen der Gasturbinen liegen und sie ihre Leistung auch stets genügend
schnell anpassen könnten.
Es gibt jedoch mehrere Einflüsse, die systematisch zu
anderen Ergebnissen führen. Dies würde sich vermutlich auch bei einem
modifizierten Lauf des EWI-Modells bestätigen:
·
Die Mittellastkraftwerke
können den schnellen Schwankungen des residualen Lastgangs nicht vollständig
folgen. Dies führt dazu, dass sie – wenigstens an einem Teil der Tage - die beiden
„“Höcker“ im Tagesverlauf nicht voll decken können und in der „Mittagslücke“
zwischen den beiden Höckern ihre Erzeugung nicht schnell genug reduzieren
können (oder jedenfalls nur unter Einbußen). Dies führt dann dazu, dass an
Tagen mit ausgeprägter Mittagslücke die Preise so stark einbrechen, dass diese
Kraftwerke nicht einmal ihren Brennstoffverbrauch in dieser Zeit erwirtschaften
können, und somit weniger als die mittleren variablen Kosten, wie sie bei einer
durchgehenden Produktion in den Tagesstunden auftreten. Solche Kraftwerke
würden damit in dieser Zeit mit negativem Deckungsbeitrag betrieben werden,
weil sie nicht schnell genug abgeregelt werden können. Diese Wirkung ist in den
Ergebnissen des EWI nicht erkennbar.
Führt auf diese Weise eine
ausgeprägte Mittagslücke zu einem Absturz der Preise unter die mittleren
variablem Kosten, müssen die Preise in der übrigen Produktionszeit des Tages
genügend höher sein, damit solche Kraftwerke über den gesamten Tag auf ihre
Kosten kommen, denn sonst bliebe das Kraftwerk den Tag über abgeschaltet. Für
die Erzielung eines im Jahresverlauf ausreichenden Deckungsbeitrags gilt dies
entsprechend: Die potentiellen Betreiber von Mittellastkraftwerken müssen
erwarten, dass genügend hohe Preise häufig genug vorkommen, sonst würden sie
keine derartigen Investitionen vornehmen.
Somit ergeben sich immer wieder auch vergleichsweise hohe Strompreise, welche
durchaus auch einen wirtschaftlichen Einsatz von Spitzenkraftwerken und diesen
die Erwirtschaftung von Deckungsbeiträgen
ermöglichen können.
Beispiel: Ein
wirtschaftlicher Betrieb kann beispielsweise an einem windschwachen Sommertag
zustande kommen, wenn Mittellastkraftwerke nur von Nachmittag bis zum nächsten
Vormittag im Umfang des Bedarfs der Nachtzeit betrieben werden. Ein Teil der
Mittellastkraftwerke bleibt außer Betrieb. Weiterhin werden Gaskraftwerke
während dem frühen Morgen und abends ab Sonnenuntergang betrieben werden,
solange der Verbrauch hoch ist. In der Darstellung des residualen Lastgangs
decken sie also die beiden Höcker. Dagegen würden sich am Vor- und Nachmittag
Solarparks und Mittellastkraftwerke die Last teilen, die dann in der
Mittagszeit überwiegend von den Solarparks getragen wird. Die beiden relativ
kurzen Verbrauchsspitzen im Abstand von einem knappen halben Tag können also am wirtschaftlichsten von
Gasturbinen gedeckt werden, die in diesen Zeiten ggf. auch Deckungsbeiträge
erwirtschaften, obwohl noch nicht alle Kraftwerke mit niedrigeren variablen
Kosten in Betrieb sind. Diese Preise schießen in dieser Zeit aber auch nicht
übermäßig in die Höhe, weil sonst weitere Kraftwerke aus der Mittellast in
Betrieb gingen.
·
Die Erzeugung aus
erneuerbaren Energien unterliegt Prognosefehlern. Kraftwerke mit trägem
Verhalten können oft nicht schnell genug den dadurch ungeplant auftretenden
Schwankungen der Residuallast folgen. Damit ergeben sich weitere
Einsatzmöglichkeiten für schnell regelbare (Gasturbinen-) Kraftwerke zu Zeiten,
zu denen noch nicht alle Mittellastkraftwerke in Betrieb sind.
Als Beispiel können die beiden Weihnachtsfeiertage 2012 in Deutschland
herhalten. Zwischen Mitternacht und 9 Uhr morgens gab es negative Strompreise,
die am 25.12.2012 zwischen sieben und acht Uhr morgens einen Negativpreis von
minus 473,82 Euro/MWh (47 Cent/kWh) erreichten und den ganzen Tag im negativen
verharrten. Offenbar waren nicht genügend träge (Braunkohle-) Kraftwerke nicht
rechtzeitig abgeregelt worden. Auch die umgekehrte Situation kann eintreten,
dass Kohlekraftwerke wegen der Erwartung genügenden Wind- oder Solarstroms
außer Betrieb gehen, und dann trotzdem Engpässe entstehen, die gute
Deckungsbeiträge für Garturbinen ermöglichen. Dies setzt noch nicht einmal
Prognoseabweichungen voraus – wird nur ein kurzzeitiges Bedarfsdefizit erwartet
(z.B. in den Abendstunden), ist der Nicht-Betrieb von trägeren (Kohle-)
Kraftwerken rational, auch wenn die Strompreise kurzzeitig deutlich über die
variablen Kosten der Kohle- oder auch der Gaskraftwerke ansteigen.
·
Mit 2020 hat das EWI
außerdem ein Jahr kurz vor der Abschaltung mehrerer Kernkraftwerke modelliert.
Nach Abschaltung derselben verbessern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse
für neue Kraftwerke und insbesondere für schnell regelbare Spitzenkraftwerke
quasi von selbst.
Leider
geht aus dieser Studie nicht genau hervor, wie die Dispatch-Entscheidungen der
Kraftwerksbetreiber im zeitlichen Verlauf und die Reaktionsgeschwindigkeit der
Kraftwerke abgebildet wurden. In diesem Kontext ergeben sich jedoch zusätzliche
Einnahmemöglichkeiten für schnell regelfähige (Gasturbinen-) Kraftwerke.
Die
Ergebnisse des EWI hängen zudem von einigen Annahmen ab, die sich (hoffentlich)
als falsch erweisen werden:
·
Das Modell des EWI geht
offensichtlich von sehr behutsamen Schritten zum Klimaschutz aus. Die Preise
für CO2-Emissionen im Modell sind offenbar so niedrig, dass die
variablen Kosten der Braunkohlekraftwerke ohne CCS – trotz ihrer weitaus
schlechteren Emissionsbilanz – auch einschließlich der Kosten für
Emissionszertifikate unterhalb der variablen Kosten von Gasturbinen liegen. Nur unter dieser Voraussetzung nehmen
natürlich Gasturbinen die letzte Position in der Merit Order einnehmen, wie es
das EWI offenbar unterstellt. Bei höheren Emissionspreisen kehrt sich dagegen
die Merit Order zwischen Gas- und Kohlekraftwerken um: Kohlekraftwerke werden
dann erst bei Strompreisen eingesetzt, die eine Deckung ihrer variablen Kosten ermöglichen, was dann aber grundsätzlich
erst nach Aktivierung aller verfügbaren Gaskraftwerke der All sein wird und in
diesen Stunden bereits einen Deckungsbeitrag für die Gaskraftwerke bedeutet. Es
würden bzw. müssten dann sogar genügend hohe Preise vorkommen, um den
Kohlekraftwerken wenigstens einen gewissen Deckungsbeitrag zu ermöglichen, so
dass es sich lohnt, diese betriebsfähig zu halten. Neue Kohlekraftwerke würden
in einer derartigen Situation natürlich nicht mehr gebaut werden,
·
Die Modellergebnisse des
EWI kommen vermutlich nur deshalb so zustande, weil das EWI von einem nur noch
minimalen Zubau an erneuerbaren Energien im Zeitraum 2020 bis 2030 ausgeht (Seite
19). Das widerspricht u.a. der Offshore-Strategie der Bundesregierung.
Zunehmende Beiträge der Erneuerbaren führen aber zu zunehmenden Schwankungen im
Lastprofil und erleichtern damit die Refinanzierung von Spitzenkraftwerken auch
ohne besondere Kapazitätsprämien. Umgekehrt käme es bei genügen hohen
CO2-Preisen sicherlich auch zu einem stärkeren Ausbau der erneuerbaren
Stromerzeugung.
·
Schließlich tut das EWI
vorschnell Potentiale beim Verbrauchsmanagement ab. Die Einführung von „Smart
Meters“ wird aber dazu führen, dass für viel mehr Verbraucher eine zeitbezogene
Verbrauchserfassung und Abrechnung erfolgen kann. Das Potential soll am
Beispiel eines Waschmaschinengangs im Haushalt erörtert werden: Sicherlich
können kleine Preisschwankungen für Strom von beispielsweise 20% in diesem
Verbrauchssektor kaum Verlagerungen im Zeitpunkt von Waschgängen bewirken. Wenn
ein Waschgang aber in der Spitzenstunde am Feierabend eines windstillen
Novembertages 2 Euro oder gar 5 Euro teurer wäre als am nächsten Wochenende,
würden wohl doch zahlreiche Verbraucher diesen so lange aufschieben. Dies gilt
insbesondere bei mäßigem Einkommen – bei höherem Einkommen mag der
Komfortwunsch überwiegen. Auch bei anderen Verbrauchssegmenten, für die man
eine niedrige Preiselastizität annimmt, gibt es irgendwann eben doch
Reaktionen.
·
Für den Stromverbrauch
zu Heizzwecken ist wegen dem hohen Bedarf eine beträchtliche Preiselastizität
anzunehmen, sobald gewisse Schmerzgrenzen überschritten wurden. Dies gilt
insbesondere für entsprechenden Verbrauch in Mittelmeerländern in Häusern ohne
„normale“ Heizung. Smart Metering kann in diesen Regionen dazu beitragen, dass
Verbrauchsspitzen im Winter wegfallen und somit der größte Verbrauch im Sommer
bei laufenden Klimaanlagen verbleibt. Dann können diese Länder aber im Winter
leichter Energie nach Deutschland liefern und hier stärker zur
Versorgungssicherheit beitragen.
·
Wenn man nun davon
ausgeht, dass die europäischen Ländern gemeinsam die Versorgungssicherheit zu
ihren unterschiedlichen Zeitpunkten der Spitzenlast herstellen, ist auch die
Annahme des EWI, der Windenergie nur 5% Kapazitätsbeitrag zuzubilligen, wohl
hinfällig, denn irgendwo weht der Wind fast immer.
·
Ein nennenswerter
Beitrag von Importstrom aus Wüstenregionen in Nordafrika („Desertec“) ist in
den EWI-Szenarien nicht vorgesehen. Eine zunehmende weiträumige Vernetzung wie
durch Desertec erleichtert aber den Ausgleich von Schwankungen in
unterschiedlichen Ländern und die Lieferung des Stroms aus solarthermischen
Kraftwerken in Regionen mit momentan ungedeckten Lastspitzen.
Die Mehrkosten zur Ergänzung
von solarthermischen Kraftwerken mit Gasbrennern, die die Abdeckung von
Lastspitzen in den Wintermonaten erleichtern, sind sicherlich niedriger als die
Kosten besonderer Spitzenkraftwerke in Deutschland. Das dafür verwendete Methan
könnte dann anfangs aus Erdgasfeldern in Nordafrika kommen, statt für das
Erdgas Transportleitungen von Nordafrika nach Deutschland zu bauen, später
würde es als CO2-neutrales Produkt mit Überschußstrom der Solarpark
synthetisiert werden.
Die solarthermischen
Kraftwerke in Kalifornien sind seit Jahrzehnten mit derartigen Zusatzbrennern
in Betrieb, ohne dass es hierfür irgendwelche Kapazitätsprämien benötigt hätte.
Eine
wichtige Rolle spielen für die Schlussfolgerungen des EWI auch zwei weitere
Annahmen:
·
Ausgegangen wird von
Preisobergrenzen, die wiederum mit der Marktmacht in Knappheitssituationen
begründet werden.
Dies ist eine seltsame
Begründung: Ausgangspunkt ist die Befürchtung, bestimmte Kraftwerksbetreiber würden
die Preise in Knappheitssituationen unbillig nach oben treiben. Dies wird durch
einen Markteingriff in Form von Preisobergrenzen vermieden. Im nächsten Schritt
wird dann beklagt, dass die Preise zu niedrig sind, um genügend
Spitzenkraftwerke zu finanzieren. Dies führt dann in einem weiteren Schritt zur
Forderung nach einer Planungsbehörde, die weitere Kapazitäten beauftragt. Auf
diese Weise bekommen schließlich alle regelfähigen Kraftwerke eine
Subventionszahlung. Im Ergebnis also wieder mehr Geld für bestimmte
Kraftwerksbetreiber.
Man muss sich fragen, ob es
da nicht das kleinere Übel wäre, diesen Kraftwerksbetreibern einen Teil des
Extragewinnes zu lassen und nur bei unbilliger Ausnutzung ihrer Marktmacht
kartellrechtlich einzugreifen, statt ihnen im ersten Schritt etwas wegzunehmen,
und sie dann anschließend reichlich zu begünstigen.
·
Die fehlende Planbarkeit
bei starken Ausschlägen der Spotpreise wird vom EWI ausschließlich als Problem
der Kraftwerksbetreiber betrachtet. Starke Preisschwankungen stellen aber auch
ein Problem für Energieverbraucher und Stromhändler dar. Es wird daher auch
ohne Markteingriffe dazu kommen, dass sich ein Teil der Energieabnehmer gegen
Preisausschläge nach oben absichert, indem sie sich Bezugsmöglichkeiten aus
Spitzenkraftwerken zu festgelegten (Höchst-) Preisen einräumen lassen. Bei
energieintensiven Industrien sind langfristige Bezugsverträge gang und gäbe.
Stromhändler, die Haushalte zu festen Preisen für ein Jahr beliefern, wären
ebenfalls gut beraten, sich Bezugsmöglichkeiten für den Fall von starken
Preisausschlägen nach oben zu sichern.
Es wird also zu Kontrakten kommen, die für beide Seiten das Risiko mindern,
nämlich den Kraftwerksbetreibern eine Deckung der Fixkosten ermöglicht, dagegen
die Abnehmer vor dem Risiko überhöhter Preise schützt. Dies erleichtert auch in
einem Markt ohne staatliche Eingriffe die Finanzierung von Spitzenkraftwerken
Die
Problematik der Prognosefehler (bzw. zusätzlicher Ertragschancen insbesondere
im Intra-day-Handel) wird auch in Abschnitt 3.1 ff. der o.g. BET-Studie
angesprochen. Dann unterstellt BET jedoch ein unwirtschaftliches Verhalten der
Marktakteure, indem in Abschnitt 3.5 die Auffassung vertreten, dass bestimmte
Wertbestandteile von Investoren für generell nicht entscheidungsrelevant
gehalten werden. Das mag ja derzeit auch bei vielen Kraftwerksbetreibern der
Fall sein. Aber es gehört ja zum Wesen der Marktwirtschaft, dass bestimmte
Wettbewerbsteilnehmer Chancen erkennen und nutzen, die andere übersehen haben.
Freiheit und
Marktgleichgewicht versus staatsorientierte Denkweise mit gesicherten
Kapazitäten
Im Kern zeigt die Diskussion
jedoch den bekannten Gegensatz zwischen Markt- und Planwirtschaft:
Einem Teil der Beteiligten fehlt das Vertrauen, dass
die „unsichtbare Hand des Marktes“ dazu in der Lage ist, eine Bedarfsdeckung zu
angemessenen Preisen herbeizuführen. Eine steuernd eingreifende Planungsbehörde
soll die – vermeintlich bessere – Gewähr bieten, dass dies gelingt.
Dieses Unbehagen gegenüber freien Märkten wird offenbar
dadurch verstärkt, dass sich ein Teil der Energieproduktion der Planbarkeit
entzieht, indem er von Wind und Sonne, also von den Unwägbarkeiten des Wetters
abhängt. Diese doppelte Unwägbarkeit – des Marktes und des Wetters – soll also
durch eine Planungsbehörde und den Rückgriff auf „gesicherte Kapazitäten“
aufgehoben werden.
Das Gegenteil ist der Fall: Gerade wegen dem Einfluss
wetterabhängiger Energieproduktion sind markt-wirtschaftliche Prinzipien in
besonderer Weise gefragt. Gerade weil das einfache Addieren gesicherter
Kapazitäten bis zur Jahreshöchstlast ohnehin nicht mehr genügt, weil die
Jahreshöchstlast teilweise durch „ungesicherte“ Kapazitäten gedeckt wird, passt
die ebenfalls „ungesicherte“ Natur des Marktes besser in ein Energieversorgungssystem,
das mit zunehmendem Anteil auf fluktuierenden Quellen beruht.
Anwendbar ist auch hier die Erkenntnis von Friedrich
August von Hayek:
„Liberty not only
means that the individual has both the opportunity and the burden of choice; it
also means that he must bear the consequences of his actions. Liberty and
responsibility are inseparable.”
(Freiheit bedeutet nicht nur, dass der einzelne sowohl
die Chance wie die Qual der Wahl hat; sie bedeutet auch, dass er auch die
Folgen seiner Taten zu tragen hat. Freiheit und Verantwortung sind unteilbar.)
Auf die Strommärkte bezogen bedeutet dies für die
Nachfrager von Elektrizität einschließlich der Stromhändler, dass sie sich zu
entscheiden haben, in welchem Maße sie sich gegenüber Schwankungen der
Energiepreise absichern wollen. Sie können sich für eine Absicherung
entscheiden, indem sie sich feste Bezugsmöglichkeiten sichern: Dann werden auch
entsprechende Kraftwerkskapazitäten vorgehalten, die die entsprechenden
Verbraucher dann auch bezahlen. Die Nachfrager können sich gegen eine
Absicherung entscheiden, dann sind sie in Engpasssituationen gezwungen, sich
zwischen deutlich höheren Energieausgaben oder einer vorübergehenden
Verbrauchseinschränkung zu entscheiden.
Diese Entscheidungen kann jeder Stromverbraucher für
sich treffen. Ein Betrieb mit hohem Stromkostenanteil mag es vorziehen, bei
kurzzeitigen Strompreisspitzen ein paar Tage Betriebsferien einzulegen, was für
viele anderen Firmen ausgeschlossen ist. Ein wohlhabender Haushalt wird seinen
Verbrauch bei Preisspitzen weniger einschränken wollen als ein armer.
Eine Planungsbehörde für Stromkapazitäten geht daher
vor allem zu Lasten der energieintensiven Betriebe und der sozial schwachen
Haushalte, weil sie diesen ein Niveau der Absicherung „vorschreibt“, das sie bei
freier Entscheidung nicht gewählt und auch nicht gewollt hätten. Vertretbar
wäre lediglich eine Absicherung der Marktakteure gegen politische
Unwägbarkeiten (z.B. niedrige Preise für CO2-Emissionen, Aufschub
des Kernenergieausstiegs).
Vergleich: Tablet-Computer
Die
Argumentation für Kapazitätsmärkte beruht zum Teil auf dem Glauben, dass eine
Planungsbehörde („Koordinator“) bei der Allokation zu besseren Ergebnisse
kommen würde, als die Marktakteure, die offenbar die Chancen übersehen, die
ihnen der Bau von Spitzenkraftwerken bietet, und die damit zu
Kapazitätsknappheit beitragen.
Zum
Vergleich soll der Markt für Computer betrachtet werden: Wäre es vor 2005 eine
staatliche Aufgabe gewesen, bestimmte Kapazitäten für „Tablet-Computer“
abzufragen – einen Markt, an den niemand geglaubt hatte, bis Apple das iPad auf
den Markt geworfen hatte? Hätte eine imaginäre „Bundesbehörde für die
Bedarfsdeckung im Computermarkt“ das besser gemacht? Apple hat an diesen Markt
geglaubt und konnte anschließend entsprechende Gewinne einstreichen. Vermutlich
wären die Gewinne von Apple niedriger, wenn eine Planungsbehörde schon vor fünf
Jahren bestimmte Kapazitäten für Tablet-Computer ausgeschrieben hätte.
Vermutlich hätten etablierte Anbieter wie Hewlett-Packard dann entsprechende
Produkte entwickelt. Aber die Behörde hätte sich auch irren können, und niemand
hätte solche Computer haben wollen.
Im
vorstehenden Absatz braucht man nur die Tablet-Computer durch den
Spitzenlaststrom aus Gaskraftwerken und Apple durch einen Kraftwerksbetreiber
zu ersetzen, der solche Investitionen vornimmt. Hewlett-Packard als Marktführer
für konventionelle PCs ist dann das Äquivalent zu Kraftwerksbetreibern wie Eon,
die nicht an die Chancen der Vermarktung von Spitzenlaststrom glauben und gerade
Gaskraftwerke außer Betrieb nehmen.
Apple
hätte mit dem iPad auch scheitern können. Es kann sich herausstellen, dass sich
Investitionen in Spitzenlastkraftwerke nicht lohnen werden – wie es in der
EWI-Studie postuliert wird. Dann müssen diejenigen Verluste erleiden, die
solche Investitionen vorgenommen haben. Es kann auch sehr teuer für diejenigen
werden, die Strom während der Preisspitzen zukaufen müssen, und diejenigen
Betreiber, die diese Chance ergriffen haben, bekommen ihrem Mut mit Gewinnen
belohnt. Das muss aber keine Behörde entscheiden.
Nur scheinbar kostengünstige
Subventionen
In
einer möglichen Ausgestaltung werden die Subventionen für die Bereithaltung von
Kapazitäten nur für neue, besonders Spitzenlast-geeignete Kraftwerke gewährt,
nicht dagegen für Bestandskraftwerke und Mittellast-orientierte Kraftwerke,
also z.B. nicht für neue GuD-Kraftwerke.
Wenn
dann die Zahlungen nicht zum Zeitpunkt der Vergabe bzw. Inbetriebnahme, sondern
über die Betriebsdauer der Kraftwerke verteilt geleistet werden, ergeben sich
anfangs nur niedrige laufende Kosten aus dem Subventionsprogramm.
In
Wahrheit würden die Energieverbraucher vor allem anfangs von der
Systemumstellung von dem Energy-only-Markt zu einem System mit subventionierten
Kapazitäten profitieren: Die heute bestehenden Kraftwerke wurden im Vertrauen
auf das gegenwärtige Marktsystem errichtet (oder schon vorher nach den früheren
Regelungen amortisiert). Führte man jetzt Subventionen für neue Kraftwerke ein,
so verschlechtert dies die Rentabilität
der bestehenden Kraftwerke im Vergleich zu den Erwartungen vor der
Systemumstellung. Infolge des Systemwechsels werden die Betreiber schlechter
gestellt, insoweit ein Nullsummenspiel zu Gunsten ihrer Abnehmer. Bereits die
Diskussion über Subventionen für später errichtete Kraftwerke wird also
Kraftwerksbetreiber von weiteren Investitionen abhalten, weil sie die Gefahr
erkennen werden, dass ihre wirtschaftlichen Aussichten später beeinträchtigt
werden können.
Es
kann auch deshalb nicht erwartet werden, dass nach dem Systemwechsel
unsubventionierte Kraftwerke dauerhaft in einem Umfang wie vorher bzw. zum
Zeitpunkt des Systemwechsels zur Verfügung stehen werden. Vielmehr wird auf
lange Sicht ein größerer Anteil subventionierter Kraftwerke benötigt werden, um
einen vergleichbaren Schutz vor Preisspitzen zu erhalten, wie er kurz nach dem
Systemwechsel und der Fertigstellung der ersten subventionierten Kraftwerke
erreicht wird. Wenn ein Teil der bislang unsubventionierten Altkraftwerke durch
subventionierte zu ersetzen ist, wird der erhoffte Schutz zunehmend teurer.
Werden
womöglich Belastungen für bestehende Altkraftwerke eingeführt, die deren
Besitzer zu einem Weiterbetrieb zwingen, so würde dies die
Investitionsbereitschaft erst recht beeinträchtigen.
Die
Subventionen werden sich auch zu Lasten eines wünschenswerten Verhältnisses von
Kraftwerkstypen auswirken. Insbesondere
potentielle Betreiber von Gas- und Dampfkraftwerken werden vor der Entscheidung
stehen, ob sie stattdessen (nur) ein Gasturbinenkraftwerk errichten sollen.
Schließlich wirkt die Subvention wie eine Sondersteuer auf den
Dampfkraft-Anteil des Kraftwerks, wenn dessen Hinzukommen das Kraftwerk von der
Subventionsgewährung ausschließt. Die Subvention führt also dazu, dass im
Zweifel auf den Dampfturbinen-Anteil verzichtet wird und stattdessen reine
Gaskraftwerke mit geringerem Wirkungsgrad errichtet werden.
Die
hauptsächlich diskutierten Formen der Subventionsvergabe – beispielsweise in
Form der Ausschreibung von Kapazitäten zu einem Zeitpunkt einige Jahre vor
Inbetriebnahme – bringen es mit sich, dass zu einem frühen Zeitpunkt Bindungen
über mehrere Jahre eingegangen werden. Es wäre insbesondere verführerisch, die
Kapazitätsprämien für die gesamte technische Laufzeit des Kraftwerks zu
versprechen, oder jedenfalls für Jahrzehnte, weil damit rechnerisch die
geringsten jährlichen Kosten verursacht werden – nur eben für eine längere Zeit
in der Zukunft. Während der Bauzeit werden dann ggf. noch gar keine Kosten
umgelegt, gleichwohl fallen in dieser Zeit Beschäftigungseffekte und Steuern
an. Kapazitätsprämien sind also mit einer großen Verleitung für den Gesetzgeber
verbunden, kurzfristige Vorteile gegen eine langfristige Verpflichtung zu
tauschen.
Grundsätzlich
bestehen zwei wesentliche Gefahren der Fehlplanung:
·
Es können mehr
Kapazitäten „bestellt“ werden als benötigt, oder technische Entwicklungen
führen dazu, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt billiger eingekauft werden
können. Dann bliebe die eingegangene Bindung als nutzlose Belastung der
Stromverbraucher bestehen. Insbesondere durch Fortschritte in der
Brennstoffzellentechnik könnte es recht plötzlich dazu kommen, dass sich
Gasturbinen als obsolet erweisen.
·
Andererseits können sich
die bestellten Kapazitäten als unzureichend erweisen, oder der Abgang von
Altkraftwerken führt wieder dazu, dass der Spitzenbedarf nicht zu variablen
Kosten von bestehenden Kraftwerken gedeckt werden kann. Gibt es dann keine
Folgesubvention, so wird sich erneut ein Knappheits-orientierter Preis
einstellen, dessen Höhe dann schließlich den Bau (zusätzlicher) neuer
Kraftwerke über eine energy-only-Amortisation ermöglicht. Der Nutzen für die
Bereithaltung des subventionierten Kraftwerksanteils ist dann allerdings
verpufft – die Kosten laufen gleichfalls weiter. Ein einmal eingeleiteter
Systemwechsel zur Subventionierung von Kapazitäten bringt es also mit sich,
dass immer neue Subventionen benötigt werden.
Ein intelligenteres
Subventionsdesign – bei dem die geförderten Spitzenkraftwerke dann ihre
Produktion auf Anforderung auch zu bestimmten Preisen gekoppelt an den Gaspreis
abgeben müssen (vgl. EWI-Studie) – könnte diesen Nachteil etwas abmildern,
hätte andererseits höhere Subventionsfixkosten je KW zur Folge.
Ein
Vergleich mit der Förderung der Photovoltaik im EEG, wo in den beiden Jahren
2010 und 2011 ebenfalls eine gewisse Blase entstanden ist, deren Kosten sich
erst später voll in den Strompreisen niederschlugen, sollte die Gefahren
solcher langfristigen Bindungen aufzeigen. Neben die milliardenhohen
„Solarschulden“ (eine Wortschöpfung aus dem Magazin Der Spiegel) würden dann
„Kapazitätsschulden“ treten. Im EEG ist eine Überwälzung auf die Zukunft aber
noch eher vertretbar, weil dort ja auch ein langfristiger Nutzen (Klimaschutz und
technischer Fortschritt) auftritt, während sich der Vorteil einer
Kapazitätsförderung (niedrigere Spotmarktpreise und damit besserer Komfort der
Energienutzung ohne Verbrauchsverschiebung auf Zeiten niedrigerer Preise) auf
einige Jahre beschränkt.
Kostenüberlegungen
für Kapazitätsprämien beruhen in erster Linie auf den Baukosten der
Gaskraftwerke selbst. Ohne eine entsprechende Gasinfrastruktur sind diese aber
nicht betriebsfähig. Zwar würden solche Kraftwerke in der Nähe von
Ferngasleitungen und von Umspannwerken errichtet werden, und die reinen
Anschlusskosten sind wohl in den Investitionskosten einkalkuliert. Der Betrieb
dieser Kraftwerke würde dann aber die Nachfrage auf den Gasmärkten erhöhen und
somit ein Spillover von Strommarkt zum Gasmarkt bewirken. Sicherlich sind die
abzudeckenden Spitzen im Strommarkt meist kurzfristiger Natur, so dass sich die
mengenmäßige Belastung der Gasinfrastruktur in Grenzen hält. Denkt man aber
beispielsweise an einen gesamten Winter mit unterdurchschnittlichen Windstromerträgen,
die durch Spitzenlast-Gaskraftwerke kompensiert werden sollen, so würde dann
eben doch eine substantielle Wirkung auf dem Gasmarkt eintreten. Eine vollständige Absicherung gegenüber
Bedarfssteigerungen würde also nur erreicht, wenn man auch auf der Gas-Seite
für zusätzliche Kapazitäten schafft und die vollen Fixkosten der
Kapazitätserhöhung kalkuliert. Das würde dann die vollen Kosten zeigen.
Die
Abhängigkeit von der Gasversorgung und von politisch bedingten Unterbrechungen
der Gasimporte wird durch
Spitzenkraftwerke auch nicht gemindert.
Wären
spontane Abschaltungen von Stromverbrauchern (Blackouts) die einzige
Möglichkeit der Bedarfsbegrenzung gegenüber Erzeugungsdefiziten, hätte die
Förderung von Reservekapazitäten eine gewisse Berechtigung, weil Blackouts mit
einer Vielzahl von Folgen verbunden sind, die über den Marktpreis des Stromes
meist weit hinausgehen. Es gibt aber auch Alternativen – sowohl technischer Art
wie auch im Verbraucherverhalten – wie z.B. die Reaktion auf KKW-Abschaltungen in
Japan mit freiwilligen Verbrauchseinschränkungen gezeigt haben.
Klar
ist aber auch: Bei im Voraus festgelegten Verbraucherpreisen kommt keine
Reaktion auf kurzfristige Preissignale zustande. Eine Marktordnung mit genügend
Nachfrageelastizität beruht damit darauf, dass die Verbraucherpreise einen
engen Zusammenhang mit den (Intraday-) Spotmärkten aufweisen, der Verbrauch
also auch kurzperiodig erfasst und zum Ende der Abrechnungsperiode ausgelesen
wird, und dass die Verbraucher (oder unmittelbar die Elektrogeräte der
Verbraucher) zeitnah über diese Preise – und insbesondere über Preisspitzen in
Engpassituationen – informiert werden.
Die Politik sollte sich auch nicht dadurch irritieren
lassen, dass derzeit die Mehrzahl der „Energieexperten“ die Einführung von
Subventionen für Kapazitäten in der einen oder anderen Weise unterstützt.
Hierbei handelt es um eine Branchensichtweise, teilweise gestützt durch
partikuläre Interessen.
Es ist in der politischen Meinungsbildung ganz normal,
dass eine Branche sich selbst für wichtiger nimmt als andere Branchen, und
daher auch dazu neigt, für die eigene Branche besondere Privilegien zu fordern.
Würde man – um ein Beispiel zu nennen – in der
Milchwirtschaft die Frage nach der Versorgungssicherheit aufwerfen, so käme man
wohl auch zum Ergebnis, dass diese vom Wetter und von schwankungsanfälligen
Märkten für Futtermittel abhängt und dass die Versorgung nicht wirklich
gesichert ist. Dennoch ist es nicht die Aufgabe des Staates, Reserven für
Futtermittel oder in Form von Milchpulver anzulegen, um für mögliche
Verknappungen oder Preissteigerungen vorzubeugen. Ein Milchbauer wird dies wohl
anders sehen, ebenso wie manche Vertreter der Energiewirtschaft für ihre
Branche.
Ausblenden
von großen Teilen der Flexibilität auf der Nachfrageseite
Nachfrageseitige Flexibilitätspotenzialen werden
systematisch unterschätzt, wenn man nur eine planbare Flexibilität berücksichtigt, die womöglich bereits zu
Jahresbeginn oder Jahre im Voraus als abschaltbare Leistung versprochen werden
muss. Etwa, wenn es heißt: „Sind Verbraucher technisch in der Lage, ihren
Bedarf an gesicherter Leistung kontrolliert abzusenken, indem sie ihren
Stromverbrauch in Zeiträumen hoher Nachfrage reduzieren, so … benötigen (sie) weniger Leistungszertifikate“ (envis S. 18).
In solchen Fällen wird Flexibilität gefördert, dies
aber planbar. Viel größer sind die
Potentiale im Bereich einer nicht vorher planbaren Flexibilität. Dies soll mit
Beispielen aus drei Sektoren erläutert werden:
Industriebetriebe können sich entscheiden, bei sehr hohen Strompreisen
ihre Produktion zu unterbrechen oder bestimmte Tätigkeiten ein paar Tage zu
verschieben. Das wird leicht möglich sein, wenn die Kapazitäten ohnehin nicht
ausgelastet sind oder eine Verschiebung z.B. auf das nächste Wochenende oder in
die Nachtschicht möglich wäre. Arbeitet derselbe Betrieb jedoch an seiner
Kapazitätsgrenze, hat vielleicht ohnehin schon Rückstände aufzuholen oder
Verträge mit hohen Konventionalstrafen zu bearbeiten, ist eine derartige
Verschiebung unterwünscht. In welcher Situation der Betrieb sich befindet, ist
im Vorhinein nur schwer abschätzbar; jedenfalls werden nur sehr wenige Betriebe
willens sein, sich potentielle Kapazitätseinschränkungen für begrenzte
Einnahmen auf Kapazitätsmärkten einzuhandeln. Schließlich können Engpässe am
Strommarkt gerade dann eintreten, wenn die Konjunktur brummt, wenn also gute
Einnahmemöglichkeiten in der Produktion bestehen.
Längere Zeit im Vorhinein können sich daher nur wenige
Betriebe auf fest kontrahierte Leistungsunterbrechungen einlassen; am ehesten
dann, wenn sie Grundstoffe herstellen, die lagerfähig sind und bei denen eine
Produktionseinschränkung durch andere Beschaffungsmöglichkeiten leicht
ausgleichbar ist. Damit scheiden die meisten Industriebetriebe als Anbieter für
unterbrechbare bzw. reduzierbare Stromabnahme aus. Im kurzfristigen
Marktgeschehen besteht hingegen viel mehr Flexibilität.
Ein Privathaushalt
kann auf den Einsatz bestimmter Energieverbraucher verzichten, beispielsweise
das Beladen der Waschmaschine ein paar Tage zurückstellen, wenn die Strompreise
hoch sind und er so z.B. ein paar Euro einsparen könnte. Er ist aber nicht in
der Lage, eine Leistungseinschränkung zu garantieren – schon deshalb, weil ex
ante gar nicht absehbar und erst recht nicht überprüfbar ist, ob er an dem
betreffenden Tag überhaupt Wäsche waschen würde, wenn es keine
Strommarktknappheit gäbe. Ebenso wenig würde sich ein normaler Haushalt darauf festlegen (!) lassen wollen, an einem
solchen Tag keine Wäsche waschen zu dürfen, weil ja gelegentlich auch
Situationen eintreten, wo bestimmte Wäschestücke eben doch dringend gewaschen
werden müssen.
Elektrofahrzeuge können beträchtliche elektrische Leistungen nach
Bedarf aufnehmen oder ins Netz zurückspeisen. Auch diese Flexibilität kann jedoch
nur flexibel gewährt werden. Zum einen möchte kein Fahrzeugbesitzer ex ante
garantieren, dass sein Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt an der Steckdose
hängt (lediglich Betreiber bestimmter Fahrzeugflotten könnten das außerhalb von
festen Einsatzzeiten anbieten). Ebenso wenig kann in solchen Fällen ein
genügender Batteriestand gewährleistet werden, der eine Rückeinspeisung ins
Netz ermöglichen würde. Schließlich werden die Batterien von Elektroautos so
dimensioniert, dass sie den Ansprüchen im Fahrbetrieb (gerade ausreichend)
genügen sollen, sie also mitunter auch mit fast leerer Batterie abgestellt
werden und an die Steckdose kommen. Schließlich soll das geparkte Elektroauto
während der Parkdauer auch wieder aufgeladen werden – manchmal mag das Zeit haben,
an anderen Tagen möchte man flexibel bleiben und an wieder anderen Tagen ist
eine weitere Fahrt fest geplant und eine Aufladung daher zwingend erforderlich,
woran dann auch hohe Strompreise nichts ändern würden. Auch die Mehrzahl der
Benzinfahrzeuge hat zu einem bestimmten Zeitpunkt einen mehr als halbvollen
Tank und somit reichlich Reserven; dennoch würde kaum ein Autobesitzer die
Möglichkeit garantieren oder einräumen wollen, dass ein Dritter jederzeit 30
Liter aus dem Tank entnehmen dürfe. Elektrofahrzeuge werden also ein
beträchtliches nachfrageseitiges Flexibilitätspotenzial darstellen, das sich
aber nicht in festgelegte Leistungs- bzw. Flexibilitätsmärkte einbinden lässt.
In einem Energy-only-Markt kann aber eine beträchtliche Leistung auf dem Spotmarkt
abgerufen werden.
Insbesondere ein größerer Fahrzeugbestand von plug-in Hybridautos würde eine beträchtliche und
preisgünstige Reservekapazität darstellen, wenn ihre Motoren auch im Stand
ferngesteuert angeschaltet werden können. (Das Immissionsrecht kann diesem
Einsatz Grenzen setzen, denn für feste Installationen gelten strengere
Grenzwerte als für Fahrzeuge, soweit es allerdings nur um einen vorübergehenden
Betrieb über begrenzte Zeit geht, sieht auch das BImSchG großzügigere
Möglichkeiten vor.) Schon wegen der demnächst zunehmenden Verbreitung von
Elektro- und Hybridautos erscheint eine Diskussion über Kapazitätsengpässe also
nicht mehr zeitgemäß. Auch das einzelne Hybridauto kann aber nicht jederzeit
Leistung garantieren.
Die drei Beispiele haben mit intermittierender
Stromerzeugung mit Wind und Sonne
gemeinsam, dass Beiträge zum Strommarktgleichgewicht insbesondere in
Engpasssituationen geleistet werden, ohne dass eine Verfügbarkeit gewährleistet
ist.
Man könnte nun in Betracht ziehen, dass Stromhändler
die Flexibilitätsmöglichkeiten ihrer Kunden gewissermaßen bündeln und sie auf
diese Weise auch ex ante in Leistungs-, Kapazitäts- oder Flexibilitätsmärkten
anbieten. Das wäre dann allerdings ein „rein spekulatives“ Handeln ohne die
nach alternativen Marktmodellen offenbar gerade gewünschte Planbarkeit. Die
„Rückversicherung“ der Stromhändler gegenüber ihren Kunden würde dann doch
wieder über Spotmarkt-ähnliche Vertragsverhältnisse laufen müssen. Ich sehe
keine Vorteil, solche Regelmöglichkeiten in einem „virtuellen“ Kapazitätsmarkt
zu bündeln. Für den Ausgleich ihrer Bilanzkreise müssen die Stromhändler ja
sowieso sorgen.
Der kurze Exkurs am Anfang dieses Papiers zeigt, wie
in einem Energy-only-Markt Flexibilität mobilisiert werden kann, die lediglich
auf dem Energiepreis und nicht auf ex-ante zugesicherten Optionen beruht.
Wie übrigens die Entwicklung z.B. in Japan gezeigt
hat, stellen auch Kernkraftwerke keine gesicherte Leistung, weil nach Unfällen
bei einem Kraftwerk jederzeit eine Zwangsabschaltung ganzer KKW-Baureihen
folgen kann.
In solchen Situationen, wenn gerade besonders
dringlich Leistung benötigt wird, würde man sich dann fragen, warum dieselben
Kernkraftwerke vorher Einnahmen an Kapazitätsmärkten erzielen durften. Übrigens
würden auch Hybridautos keine gesicherte Kapazität mehr stellen, wenn sich die
Besitzer nach einem Kernunfall mit ihnen auf die Flucht begeben haben.
Auch Kohlekraftwerke, die auf freie Kohleimporte über die
Weltmeere und nicht vereiste Häfen angewiesen sind, und Gaskraftwerke, die
importiertes Gas verbrennen, das insbesondere aus Russland stammt, können
gerade in Krisenzeiten die versprochene Garantie nicht einlösen und würden sich
in solchen Fällen unter Berufung auf „höhere Gewalt“ ihren vertraglichen
Pflichten entziehen.
Zu Gunsten von Kapazitätsmechanismen kann argumentiert werden, dass die Energiewirtschaft sehr kapitalintensiv ist und sich Kraftwerke risikoärmer finanzieren lassen, wenn ihre Erlöse (oder ein gewisser Teil der Erlöse) für mehrere Jahre im voraus festgelegt sind oder nur in geringem Umfang schwanken. Dies kann u.a. dadurch erreicht werden, dass die Erstellung bzw. Bereithaltung von Kapazitäten für mehrere Jahre im voraus ausgeschrieben wird und die Betreiber entsprechend abgesichert werden. Damit können Kraftwerke mit einem niedrigeren Anteil an Eigenkapital und niedrigeren Zinsen finanziert werden, was die Kapitalkosten senkt.
Wie nachfolgend gezeigt wird, können die Schwankungen der Erlöse von „Spitzenkraftwerken“ auch bei einem energy-only-Markt stärker verstetigt werden, insbesondere durch das Eingehen der Stillhalterposition von Optionen. Die Argumentation der niedrigeren Kapitalkosten greift im Wesentlichen dann, wenn der entsprechende Regulierungseingriff über viele Jahre im Voraus erfolgt und langjährig Einnahmen garantiert. Damit würde sich der entsprechende Regulator aber anmaßen, die Stromverbraucher über viele Jahre im voraus mit festen Ausgaben zu belasten. Im Prinzip würde so das Risiko von Fehlinvestitionen (d.h. dem Bau von Kapazitäten, die am Ende doch nicht bzw. nur sehr selten benötigt werden bzw. sich als volkswirtschaftlich unwirtschaftlich herausstellen) nur von dem privaten Investor auf die Öffentlichkeit, d.h. die Gesamtheit der Stromverbraucher verlagert.
In Anbetracht der Tatsachen,
· dass Entscheidungen über künftige Zahlungen zu Lasten der Stromverbraucher tendenziell leichtfertiger getroffen werden als die Entscheidung über eine konkrete Investitionsausgabe durch die Betreiber, und
· dass eine Entscheidung über festgeschriebene Ausgaben bzw. eine Investition von dem selbst finanziell Betroffenen (dem Stromverbraucher) vorsichtiger behandelt würde als von einem Dritten, nämlich dem Regulierer,
besteht in diesem Fall ein verstärktes Risiko von Überinvestitionen. Ein Regulierer könnte auch die Sorge haben, dass etwa auftretende Strompreisexplosionen ihm zu Last gelegt würden, mit dem Vorwurf, er habe eben nicht für genügend Kapazitäten vorgesorgt. Bei umgekehrter Entwicklung würde ihm eine geringfügig höhere Stromrechnung für unnötige Kapazitäten dagegen viel weniger zur Last gelegt werden. Betrachtet man die Geschichte der Energiewirtschaft mit ihren immer wieder erlebten Überkapazitäten, sollten solche Zusammenhänge doch sehr zur Vorsicht mahnen.
Zudem hat es undemokratische Züge, wenn in einer Legislaturperiode langjährige Verpflichtungen eingegangen werden (z.B. Zahlungen im Rahmen von Kapazitätsmärkten), die dann den Gesetzgeber und die Bevölkerung langjährig binden bzw. belasten. Wird beispielsweise heute der Bau von Spitzenkraftwerken auf Erdgasbasis mit bestimmten Kapazitätsmechanismen gefördert, die Einnahmenströme garantieren, so müssen diese von künftigen Stromverbrauchern bezahlt werden, egal, ob sie sich für einen energiepolitischen Weg entscheiden (möchten) oder nicht.
Greift der Gesetzgeber dagegen nachträglich in zugesagte Zuschüsse ein und übt er auf diese Weise sein Gestaltungsrecht aus, so verspielt er damit den gewährten „Vertrauensschutz“, und dann werden auch die niedrigeren Kapitalkosten wegfallen.
Würden Zahlungen aus Kapazitätsmechanismen jeweils jahresweise bewilligt werden, so würden ein Investor und seine Bank immer mit der Möglichkeit rechnen, dass die Kapazitätsmechanismen nicht mehr fortgeführt würden und wieder zu einem energy-only-Markt zurückgekehrt wird. Diese Gefahr wäre gerade dann am größten, wenn der Gesetzgeber zu der Auffassung kommt, dass genügend Kapazitäten vorhanden sind. Der „Regenschirm“ für die Investition in Form des Kapazitätsmarktes würde also vor allem dann weggenommen werden, wenn er vom Betreiber am dringendsten benötigt wird. Daher lassen sich mit Kapazitätsmechanismen, die ohne langjährige Bindungen über mehrere Legislaturperioden auskommen, auch keine niedrigeren Kapitalkosten erreichen.
Im Hinblick auf demokratische Gestaltungsmöglichkeiten bestünden keine Bedenken, wenn Baukostenzuschüsse geleistet würden, die sofort fällig würden und auch nicht über öffentliche Schuldenaufnahme finanziert wären. Dann würden sich allerdings die Kapitalkosten nur dadurch reduzieren, dass weniger Kapital privat bereitgestellt werden muss, nicht aber die erforderliche Rentabilität für das verbleibende Privatkapital.
[Exkurs zum EEG: Auch Fördermaßnahmen für erneuerbare Energien wie das EEG beruhen zum Teil auf solchen Überlegungen niedrigerer Kapitalkosten. Betrachtet man beispielsweise die Förderung der Photovoltaik in Deutschland, bei der 2010 und 2011 bei sehr hohen Preisen Kapazitäten aufgebaut wurden, die nun 20 Jahre lang „abbezahlt“ werden müssen, so wurden diese gewiss insoweit mit niedrigen Kapitalkosten errichtet, als dass die Betreiber nur moderate Renditen erreichen können. Gleichwohl muss die Bemerkung erlaubt sein, dass damit jedenfalls den Wählern und Stromverbrauchern z.B. der Wahlperiode 2014-2017 die Möglichkeit genommen wurde, für denselben Aufwand bei heute mindestens halbierten Preisen je kW bzw. kWh mehr als die doppelte PV-Kapazität in Betrieb zu nehmen.
Natürlich bleibt das Argument der Markteinführung. Ein
großer Teil der Kostensenkung bei PV wäre aber sicherlich auch bei einem
weniger ausgeprägten bzw. stetigeren Boom der deutschen Installationszahlen
zustande gekommen, die ja den technischen Fortschritt nicht in gleichem Maße
beschleunigen konnten.]
Stromverbraucher mit gehobenem Einkommen werden eher
weniger Bereitschaft haben, ihren Stromverbrauch je nach Höhe der Strompreise
zu gestalten. Für sie ist es daher in Ordnung, wenn zusätzliche Kapazitäten
geschaffen werden, die sie vor Unbilligkeiten schützen; die Kosten für
Kapazitätsmechanismen nehmen sie dann gern in Kauf und betrachten sie als eine
wohlfeile Versicherungsprämie. (Dass auch sie eher zu hohe bzw. unnötige Kosten
eingehen, steht auf einen anderen Blatt).
Ganz anders ist die Situation bei sozial schwachen
Haushalten (und anderen wirtschaftlich weniger leistungsfähigen
Stromverbrauchern). Sie geben einen höheren Teil ihres verfügbaren Einkommens
für Konsumzwecke und darunter auch für Elektrizität aus als Haushalte mit
höherem Einkommen. Eine Mehrbelastung durch Kapazitätsmechanismen würde sie
daher wesentlich stärker in der Lebensführung belasten als andere. Bei einem
sozial schwachen Haushalt könnte es z.B. darum gehen, ob er sich ein paar
Kinobesuchen im Jahr leisten kann, während es die entsprechende Mehrbelastung
von einem Besserverdiener dadurch ausgeglichen werden könnte, dass es in der
Oper ein paar Reihen weiter hinten sitzt.
Kapazitätsmechanismen, die ja meistens von
Besserverdienern ersonnen werden, über deren Umfang ebenfalls Besserverdiener
entscheiden würden (im Parlament und beim Regulierer), und deren Erträge den
oberen sozialen Schichten zufließen (den Aktionären der begünstigten Kraftwerksbetreiber)
bergen also nicht nur undemokratische, sondern auch unsoziale Züge.
Vertretbare Ausnahmen
Schutz vor
politischen Unwägbarkeiten
Bessere
Argumente gibt es für einen Schutz von Investoren vor politischen
Unwägbarkeiten. Wer mit der Planung eines Spitzenlastkraftwerks beginnt, das
beispielsweise 2020 in Betrieb geht, sorgt damit für einen Ausgleich des
Kapazitätsrückgangs, der durch die Abschaltung der restlichen Kernkraftwerke in
Deutschland bewirkt wird. Eine erneute Laufzeitverlängerung dieser KKW würde
seine Ertragschancen wesentlich beeinträchtigen.
Entsprechend
würden allzu niedrige Emissionspreise für CO2 die Wirtschaftlichkeit
von Gaskraftwerken gegenüber Kohlekraftwerken verschlechtern.
Als
politische Maßnahme wären daher Bürgschaften vorstellbar, die Investoren in
Spitzenkraftwerke vor politisch beeinflusste Einflussfaktoren schützen, die ein
Privatinvestor in der Tat schwer überblicken kann, wie insbesondere
·
den Auswirkungen zu
niedrigerer CO2-Kosten (die Gaskraftwerke gegenüber Kohlekraftwerken
benachteiligen),
·
vor einer Verlängerung
der KKW-Laufzeiten (die die Angebotskurve am Strommarkt insgesamt verschieben
würde) und
·
ggf. auch vor einem zu
geringeren Ausbau der Erneuerbaren (soweit dieser durch eine unstetige
Lastkurve die Chancen für schnell regelfähige Kraftwerke verbessert).
Der
Umfang solcher Bürgschaften könnte auch für begrenzte Kapazitäten und im Rahmen
von Auktionen bestimmt werden. Ein Schutz könnte auch gegen die nachteiligen
Auswirkungen von später vergebenen Kapazitätsprämien gewährt werden,
beispielsweise durch die Garantie der Einbeziehung in spätere Subventionen.
Aber
damit sollte dann auch genug getan sein, um die Investitionen in die Kraftwerke selbst schmackhaft zu machen.
Bereithaltung von genehmigten Projekten
Befürworter von Kapazitätsprämien aller Art
argumentieren auch mit den benötigten Vorlaufzeiten. Zum Teil kommen diese
allerdings erst durch das Ausschreibungsverfahren selbst zustande.
Einschränkend wirkt auch der Umstand, dass bei einer sinnvollen Ausschreibung
eine Auswahl unter mehreren Anbietern zu treffen ist, so dass sich eine anfangs
größere Zahl von Projekten durch das Ausschreibungsverfahren vermindert, wo
doch eigentlich eine Ausweitung beabsichtigt ist.
Ein weiterer Teil der Vorlaufzeiten entfällt auf die
Genehmigungsverfahren. Ein vergleichsweise preiswertes Subventionsinstrument
wäre es, lediglich die Vorhaltung von genehmigten Standorten für Gaskraftwerke
zu unterstützen. Hierbei könnte die ausschreibende Institution einen eher
großzügigen Ansatz wählen, d.h. die abgefragten Kapazitäten eher am „oberen
Rand“ ansetzen, die Kosten je Kraftwerk für die reine Planung sind ja nicht so
groß.
Die Zuwendungsempfänger hätten dann die Aufgabe,
Standorte für Gaskraftwerke nachzuweisen und einen gewissen Verfahrensstand zu
erreichen. Der „Auftrag“ der die Planung bestellenden Institution (z.B. der
Bundesnetzagentur) würde zugleich einen Bedarfsnachweis darstellen, wie er von
den standortbezogenen Genehmigungsbehörden häufig erwartet wird, würde also die
Genehmigungsverfahren erleichtern.
Sind solche Genehmigungen in genügender Zahl
verfügbar, kann vergleichsweise schnell auf eine sich ggf. abzeichnende
Knappheit reagiert werden, indem Gasturbinen bestellt werden (die dann über den
Marktpreis refinanziert werden). Käme es beispielsweise zu einem gewissen
Attentismus bei Investitionen in Spitzenkraftwerke, weil große
Kraftwerksbetreiber mit einer Verlängerung der KKW-Laufzeiten in Deutschland
rechnen (oder es bewusst darauf auslegen), so könnten Engpässe doch wenigstens
in relativ kurzer Zeit behoben werden.
Wer solche Förderungen in Anspruch nimmt, um eine
Genehmigung „herzustellen“, müsste dann auch bereit sein, diese mit allen
Standortrechten preiswert an einen Dritten abzugeben, wenn er selbst die
Genehmigung (noch) nicht umsetzen möchte. Bei der Weitergabe von Projekten
könnten diejenigen Projektierer einen Vorzug erhalten, deren Projekte bereits
umgesetzt wurden. Besteht auch bei Dritten (noch) kein Bedarf an den
Standorten, behält der ursprüngliche Planer die Rechte.
Das als Gegenleistung der Förderung geschuldete
Genehmigungsverfahren könnte auf der Stufe des Raumordnungsverfahrens enden,
könnte aber auch die vollständige Genehmigungsplanung (Planfeststellung)
umfassen. Die zweite Variante könnte vor allem für Hersteller von
Gasturbinenkraftwerken gewisse Reize bieten, die damit ihren potentiellen
Kunden bestellungsreife turn-key- bzw. EPC-Projekte anbieten könnten.
Allerdings ist zu beachten, dass diese sich wohl derzeit scheuen, mit ihren
Kunden auf diese Weise in Konkurrenz zu treten.
Die Kosten von Genehmigungen sind wesentlich geringer
als die der eigentlichen Investition, so dass mit relativ begrenzten Kosten Optionen geschaffen und „Zeit gekauft“
werden könnte.
So ein moderater Markteingriff könnte ggf. auch
weitere Begehrlichkeiten nach staatlicher Steuerung schon im Vorfeld
verhindern. Denkbarer Nachteil einer solchen Strategie wäre es, dass die
Planungsbehörde (BNetzA) auf diese Weise überhaupt erst in den
„Kapazitätsmarkt“ eingebunden wird, und daher stärker in die Verleitung kommt,
die Umsetzung der Planungen durch weitergehende Subventionen weiter zu
begleiten. Dieses Risiko sollte durch geeignete Vertragsgestaltung begrenzt
werden; insbesondere könnte ein Anspruch auf die Übertragung von Projektrechten
auf Dritte ausgeschlossen werden, wenn diese eine subventionierte
Kraftwerkserrichtung beabsichtigen.
Eine solche Auftragsplanung wird von dem Unterzeichner zwar nicht gerade befürwortet, eine derartige Förderung mit begrenztem Mitteleinsatz (und vorzugsweise aus allgemeinen Haushaltsmitteln) wäre aber das kleinere Übel gegenüber einer Förderung der eigentlichen Kraftwerke.
Optionsmodelle
Die hier angerissenen Optionsmodelle werden in einem
gesonderten Papier ausführlich vertieft.
Energy-only-Märkte können zu
sehr stark fluktuierenden Deckungsbeträgen für Spitzenlastkraftwerke in
aufeinanderfolgenden Jahren führen, für ein Beispiel siehe Seite 5 in inhttp://www.dena.de/fileadmin/user_upload/Veranstaltungen/2012/Vortraege_Capacity_Mechanisms/BARITAUD-Berlin_Capacity_Mechanisms_II.pdf
(Manuel Baritaud: Concepts
and Experiences with Capacity Mechanisms, Beitrag zur Conference “Capacity
Mechanisms: Experiences in Various European Countries”, Berlin, 30 August 2012)
Spiegelbildlich dazu ergeben sich Preissprünge für die
Stromabnehmer bzw. -händler. Eine Möglichkeit, die Risikoverteilung zu
verändern, wären Optionen auf eine Stromlieferung zu einem Preis, der z.B.
knapp über den variablen Grenzkosten des Betriebs eines Gaskraftwerks liegt.
Mit dem Verkauf einer derartigen Option könnte z.B.
ein Gaskraftwerk bereits zu Jahresanfang feste Erträge erzielen, ob die
Leistung dann schließlich abgerufen wird oder nicht. Bei Strompreisen oberhalb
des Optionsausübungspreises wird das Gaskraftwerk betrieben und der Strom am
Spotmarkt verkauft. Damit werden Erlöse erzielt, die den rechnerischen Verlust
aus der Ausübung der Option in etwa ausgleichen. Für den Kraftwerksbetreiber
stellt die Stillhalterposition also kein besonderes Geschäftsrisiko dar (sofern
er keinen Kraftwerksausfall zu beklagen hat). Er kann sich seinerseits über
Call-Optionen auf dem Gasmarkt und für Emissionszertifikate absichern; nachdem
es sich hierbei jedoch um nicht so volatile Markte handelt wie bei dem
Strommarkt, mag das weniger dringlich erscheinen.
Aus Sicht der Stromverbraucher bzw. –händler stellen
solche Optionen eine Möglichkeit zur Absicherung gegenüber Engpasssituationen
bzw. Preisspitzen dar. Für deren Belange handelt es sich also um eine echte
Alternative zu einer Marktregulierung über sog. Kapazitätsmärkte.
Bislang üblicherweise gehandelte Optionen (z.B. an der
EEX) beziehen sich auf eine Lieferung der Baseload oder der gesamten Peak-Load
eines längeren Zeitraum. Für vorgenannte Zwecke sinnvoller wären Optionen, bei
denen (wenigstens als gedankliche Basis der Abrechnung) stundenweise die
Entscheidung zur Ausübung der Option ermöglicht wird. Prinzipiell könnten
solche Option für jede einzelne Stunde oder Viertelstunde des Jahres gehandelt
werden. Sinnvoller wäre es allerdings, diese Optionsrechte über die Stunden
eines längeren Zeitraums (z.B. des ganzen Jahres) in einem Kontrakt zu bündeln.
Gehandelt werden könnte also z.B. eine Option über ein
MW mit einem Ausübungspreis von 80 €/MWh, die dann für jene Stunden einen
Ertrag abwirft, in denen der Spotpreis über 80 €/MWh steigt (und nicht
erst, wenn der Preis für eine längere Bandlieferung oder die gesamte Peak-Load
über 80 €/MWh steigt). Gutgeschrieben würde also jeweils die Differenz zwischen
(Spot-) Marktpreis und Ausübungspreis in allen Einzelstunden, in denen der
Ausübungspreis überschritten wird. Die Abrechnung könnte vorzugsweise an die
Preise im Intraday-Handel gekoppelt werden. Eine physikalische Lieferung würde
wohl eher unpraktisch sein. Ggf. könnte die Ausübungsmöglichkeit an ein
gewisses Auframpungsprofil gekoppelt werden (z.B. in der ersten Stunde nur die
Hälfte der kontrahierten Leistung oder auch viertelstündliche Möglichkeiten),
vorzugsweise ein solches, wie es Gasturbinen aufweisen, um das Risiko für
entsprechende Anbieter zu begrenzen und damit die Marktbreite zu verbessern.
Die Preise für solche Optionen würden jeweils ex ante
für nachfolgende Jahre weniger volatil sein als die sich ex post dasrstellenden
Deckungsbeiträge aus dem Betrieb solcher Kraftwerke. Kraftwerksbetreiber
könnten ggf. für mehrere Jahre im Voraus solche Optionen verkaufen (und die
Stillhalterposition einnehmen). Dies ergäbe besser planbare Erträge und würde
zweifellos die Finanzierung von Spitzen-/ Residuallastkraftwerken erleichtern,
wenn wohl auch für zu kurze Zeit, um die gesamte Refinanzierung eines
Kraftwerks gewährleisten.
„Second-best“-Möglichkeit:
Optionspflicht
Eine weitergehende Möglichkeit wäre es, Stromhändler
bei der Belieferung von Endverbrauchern zu verpflichten, für eine bestimmte
Dauer im Voraus solche Optionen in einem bestimmten Umfang zu erwerben und
vorzuhalten. Zunächst würde damit Insolvenzrisiko als Folge plötzlicher
Preissteigerungen gemindert werden, was auch als Maßnahme des
Verbraucherschutzes dient. Damit wäre dann auch die Belieferung der Kunden zu
den zugesicherten Preisen insoweit besser gesichert.
Man könnte diese Pflicht sogar für eine längere Dauer
als die Laufzeit der Preisbindung seiner Lieferverträge festlegen. Wer dann
z.B. 2016 Strom liefern wollte, müsste dann z.B. derartige Kaufoptionen für die
Jahre 2016 bis 2019 nachweisen, auch wenn die Lieferverträge nur für ein Jahr
laufen. Käme es Ende 2016 zu Kündigungen von Kunden, könne der Stromhändler die
Optionen natürlich wieder verkaufen. Allerdings sollte aber so eine
Optionspflicht für maximal ein Jahr (und vorzugsweise nur für einen Teil der
Leistung) gelten, bis mehr Erfahrungen vorliegen.
Als Stillhalter (Verkäufer) der Optionen könnten
einerseits Kraftwerksbetreiber auftreten (insoweit hätte die Vorschrift eine
steuernde Wirkung und würde die Herstellung von Kraftwerkskapazitäten
unterstützen), andererseits aber auch jegliche anderen
Finanzinvestoren/Hedgefonds usw. Insofern bliebe auch im Fall obligatorischen
Optionsnachweises der Mechanismus der Kontrolle des Marktes unterworfen und
Investitionen in unnötig große Kapazitäten würden der Marktkontrolle
unterworfen). Bei Besitz eines regelfähigen Kraftwerks mit passender Leistung
wäre der Nachweis einer entsprechenden Option durch einen Stromhändler nicht
erforderlich.
An sich könnten auch die Stromverbraucher ihrerseits
eine Absicherung vornehmen. Bei zeitgenauer Abrechnung des Verbrauchs und
marktorientierten, zeitvariablen Tarifen könnte wiederum auf
Kapazitätsnachweise verzichtet werden, weil die Verbraucher ggf. ihren
Verbrauch einschränken würden.
Eine derartige Optionspflicht soll hier nicht
gefordert werden. Sie wäre aber ein marktkonformes Mittel, bestimmte
vorteilhafte Wirkungen von Kapazitätsmärkten zu erreichen, ohne negative
Wirkungen (die von manchen Marktteilnehmern beabsichtigt sein mögen) auf die Ertragschancen
intermittierender Kraftwerke zu bewirken und unnötige volkswirtschaftliche
Kosten zu verursachen.
Fazit
Die EWI-Studie und
vergleichbare Studien mögen plausible Argumente für eine Planungsbehörde zur
Kapazitätsförderung für den Fall enthalten, dass es zu keiner
Fortsetzung der Energiewende in Deutschland und zu keinem
anspruchsvollen Klimaschutz weltweit kommt. Selbst dann greifen diese Argumente
allerdings nur bei einem weitgehenden Ausschluss der Verbraucherseite beim
Ausgleich von Angebot und Nachfrage (kaum demand-side-management in Verbindung
mit Smart Metering und entsprechend wenige zeitvariablen
Verbraucherpreismodelle) sowie unter der Annahme von regulatorischen Eingriffen
in die Preisbildung am Strommarkt (Preisobergrenzen): Nur dann hätte eine
derartige Planungsbehörde eine gewisse Berechtigung, um eben diese Eingriffe
wieder auszugleichen.
Nachdem ein planwirtschaftlicher Eingriff mit
subventionierten „Kapazitätsmärkten“ gerade den Einsatz von regenerativen
Energien und die Finanzierung von Reservekapazitäten am freien Markt behindern
würde, könnte sich daraus eine „self-fulfilling prophecy“ ergeben. Auch
kleinere Eingriffe in den Markt, wie sie derzeit für Gaskraftwerke der Eon
diskutiert werden, sind daher problematisch.
Hauptgeschädigte wären jedoch die erneuerbaren
Energien und die Stromverbraucher.
Die Vorteile der Deregulierung und eines
marktwirtschaftlichen Strommarktes sollten nicht leichtfertig aufgegeben
werden. Freiheit ist – auch im Elektrizitätsmarkt – immer die Freiheit der
Andersdenkenden.
Joachim Falkenhagen
Windland Energieerzeugungs GmbH * www.meerwind.de * Berlin, Mai 2012 / ergänzt Mai 2013
[1] Im Folgenden wird hier auch der Begriff des Spitzenkraftwerks verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass es sich um schnell regelfähige Kraftwerke handelt, welche die Spitzen im Residualbedarf decken, die neben der Energieproduktion der anderen Kraftwerke verbleiben. Diese Spitzen müssen nicht unbedingt mit den Höchstwerten des Verbrauchs (Spitzenlast) übereinstimmen.